Reisen mit Kindern 1 oder: Zwei Tage in Nanjing

Ruhetage haben etwas Beruhigendes. Auf gut Deutsch: Wir haben die Geduld und die Zeit, gut in den Tag zu kommen.

Ein typischer Morgen auf unserer Reise:

Der Wecker (sprich das Mobiltelefon) klingelt. Zwei Erwachsene drehen sich noch einmal um, die Kinder reagieren gar nicht. Etwa 15 Minuten später schäle ich mich aus dem Bett, stupse Zornica an. Meine Frau ist dann weitere 15 Minuten später auf den Beinen. Die Kinder schlafen derweil noch. Zähneputzen, Duschen, Anziehen, Computer auf: Restblog oder Bilder hochladen. Zornica macht Kaffee, schneidet eine Melone. Ich checke noch einmal die Route für den Tag. Dann wecken wir die Kinder auf. Nora ist gleich wach, möchte dann aber die nächsten 20 Minuten durch das Zimmer getragen werden. Sarah versteckt sich unter der Decke und stellt sich schlafend.

„Melone!!!“ rufen Zornica und ich im Chor. Das hilft. Vor allem, dass Nora schon die ersten Stücke in den Mund schaufelt. Da erwacht bei Sarah der geschwisterliche Futterneid und schon ist sie mit einem Satz aus dem Bett und an der Melone.
„Papa, ich muss Pipi!“, ruft Sarah und Nora schreit: „Ich auch!“ Die Toilettenzeit nutzen Zornica und ich, auch ein Stück Melone zu bekommen. Nach der Toilette ziehen sich die Kinder an. Zornica diskutiert mit Sarah über Farbkombinationen. Ich überzeuge Nora davon, dass kurze Ärmel ohne Jacke und Schuhe ohne Socken bei diesem Wetter keine Alternativen sind.

Zornica macht den dritten Kaffee, die Kinder nehmen je nach Tageslaune ihre Barbies, Zeichenblöcke oder Bilderbücher und machen es sich auf dem Boden bequem. „Zehn Uhr“, rufe ich. „So spät?“, ruft Zornica erstaunt und macht einen vierten Kaffee. Ich lade noch ein paar Bilder auf den Blogserver. Nora hat sich die Leggings wieder ausgezogen, Sarah trägt nun doch das geblümte Kleid zur gestreiften Hose.

„Los geht’s!“, rufe ich. „Gleich!“, rufen meine drei Frauen.

Gegen 11:00 Uhr stehen wir in der Lobby. Einer von uns hat immer was vergessen. Um 11:30 Uhr geht es dann los. Für’s Radfahren furchtbar spät. Aber heute ist ja Ruhetag! Wir sind in Nanjing, der „Südlichen Hauptstadt“, neben Xi`an und Peking die berühmteste der ehemaligen Kaiserstädte. Hauptstadt der Taiping-Rebellion im 19. Jahrhundert und Sitz der Regierung während der Republikzeit im angehenden 20. Jahrhundert. Kulturelles Zentrum des Yangzi-Deltas, ehe Shanghai der Stadt den Rang ablief. Voll mit historischen Spuren und gleichzeitig eine der modernsten Städte Chinas. Das reicht für zwei Besichtigungstage!

Den ersten Tag lassen wir die Familienkutsche im Stall und machen Dr. Sun Yat-sen, dem ersten Präsidenten der chinesischen Republik unsere Aufwartung. Beziehungsweise seiner Grabanlage.

Nach einer Regenpause geht es dann mit der Elektrobimmelbahn zum Grabmal des ersten Ming-Kaisers.

Dann reicht es für unsere Kinder und wir probieren uns weiter durch die Speisekarte unseres Mao-Restaurants.

Am nächsten Tag testen wir unsere Stadttauglichkeit und bewegen die Familienkutsche durch den Nanjinger Stadtverkehr, den ich auch schon gesitteter erlebt habe. Da hatte ich aber auch keine 5-Meter-Limousine unter dem Hintern. Die Familienkutsche wird in einem Fahrradladen noch einmal um einen kleinen Gepäckträger auf dem Anhänger ergänzt und während unsere Kinder die lokalen Kinderfahrräder durch den Laden chauffieren, komme ich mit dem Manager des Ladens und einem Stammkunden ins Gespräch.

DSC01037

„Ist das die 14-Gang-Nabenschaltung, die ihr da habt?“, fragt Manager Zhao mich. Ich nicke. Er nimmt sein Smartphone und macht andächtig ein paar Fotos. „Gehört habe ich davon schon, aber gesehen habe ich diese Schaltung noch nicht!“, sagt er mit einer gewissen Ehrfurcht in der Stimme.
„Kann man das Rad hier kaufen?“, fragt mich der Stammkunde, der schon seit ein paar Minuten unser Tandem aus allen Blickwinkeln mit Kennermiene prüft. „Kommt aus Holland und wird in China nicht vertrieben!“, antworte ich. „Aber vielleicht schickt Koga es nach China!“

„Was kostet es denn?“

„Etwa 35.000 RMB.“

Er zuckt nicht mal mit der Wimper. Das ist in Nanjing so ungefähr das, was ein Durchschnittsbürger in einem halben Jahr verdient.

„Dann kommt wahrscheinlich noch der Zoll dazu!“, merke ich an.

„Dann kannst Du es vergessen, das macht mindestens 30 Prozent Aufschlag!“, sagt er mit säuerlicher Miene.

„Du könntest es in Holland abholen!“, schlage ich vor. „Das kommt Dir billiger und Sightseeing ist auch mit dabei!“

„In den USA war ich schon mal, aber Europa interessiert mich nicht so sehr!“, erwidert er. „Aber ein Freund von mir ist regelmäßig in Europa, vielleicht bringt der mir das Rad mit!“

Wir verabschieden uns. Meine Kinder können sich gar nicht von ihren neuen Zweirädern trennen. Nora steigt nur ab, als wir ihr versprechen, dass sie zum nächsten Geburtstag ein Fahrrad mit Fahne bekommt. Dann nehmen wir Kurs auf die historische Yangzibrücke von Nanjing. Die erste Brücke über den Yangzi, die die Chinesen in den 1960er ohne fremde Hilfe gebaut haben. Ein ziemliches Monstrum aus Stahl und Beton, zweistöckig, unten die Eisenbahn und oben die Straße. Dies Fahren wir bis zur Scheitelhöhe, unsere steilste Steigung bisher! Ein Blick über den Yangzi, Fototermin mit Revolutionsfiguren, dann geht es mit Schwung gegen die Fahrtrichtung wieder in die Stadt. So langsam haben wir den Bogen raus mit unserer Familienkutsche, auch wenn der eine oder andere entgegenkommende Motorradfahrer mental in den Graben springt. „Juhu!“, rufen die Kinder und Zornica krallt sich verbal in meinen Rücken. Dann hat Nanjing uns wieder, wir drehen noch eine Runde um den Xuanwu-See im Norden der Stadt und werfen einen Blick auf die imposante Skyline.

_DSC3536

Und ja, einen Menschenauflauf haben wir auch wieder verursacht:

_DSC6910

Alles in allem zwei runde Tage in Nanjing. Und das wichtigste: Unseren Kindern ist es nicht langweilig geworden!

One Comment:

  1. Pingback: Travelling with Kids II: The ups and downs of family biking – Familienkutsche durch Asien

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert