Ich stehe im Aufzug, die Türen sind zu und er bewegt sich nicht. Irritiert schaue ich auf die Digitalanzeige.
Keiner hat die Knöpfe gedrückt. Denn meine Kinder sind schon in Yantai.
Nachts schlafe ich mit Licht im Badezimmer und angelehnter Badezimmertür, damit die Kinder den Weg zur Toilette finden.
Zuweilen erwische ich mich dabei, wie ich in einer brenzligen Situation in den Rückspiegel blicke und nach den Kindern schaue.
Phantomschwerzen eines alleinreisenden Vaters, der die letzten Wochen mit zwei kurzen Ausnahmen fast jede Sekunde mit den Kindern verbracht hat. Immer darauf geachtet hat, dass Nora den Fahrstuhlknopf draußen und Sarah den Knopf innen drückt.
Und dass eben das Licht im Badezimmer brennt. Gegen böse Geister und nasse Betten.
Wieder allein, hoffentlich zum letzten Mal! Schön finde ich das nicht, aber es macht in unserer augenblicklichen Situation einfach Sinn!
Aber wie heißt es so schön:
Essen ist die Familie des alleinreisenden Vaters!
Aber die temporäre Kinderlosigkeit hat diese Tage auch Vorteile. Jedesmal, wenn mich einer der Qingdaoer Autofahrer fast von der Fahrbahn drängt, was eigentlich nur zu dadurch zu erklären ist, dass die Leute hier anscheinend jeden Abend in einer Wanne Qingdao-Bier baden und dabei zuviel Flüssigkeit schlucken, bin ich froh, dass im Zweifelsfall nur Blechschaden droht.
Und dann genieße ich es zugegeben durchaus, einmal über einen chinesischen Markt zu schlendern, ohne einer oder beiden Töchtern erklären zu müssen, dass die Dinge zu groß, zu schwer, zu teuer oder zu kitschig sind. China ist ja eine einzige Quengelkasse, rund um die Uhr, überall. Alles Spielzeug macht unheimlich viel Lärm, bewegt sich und ist meist auch noch Quietsch-Rosa.
Glücklicherweise gehen die Dinge auch sehr schnell wieder kaputt, so dass wir jede Woche eine kleine Umwälzung in unserem Gepäck haben. Der tanzende Bär fliegt raus, der singende Panda wird für eine Woche mitgenommen. Nachhaltig ist das nicht. Aber das sind die Unmengen Luftballons, Oreos und Stickerbücher auch nicht, die unsere Kinder täglich konsumieren. Dies ist jedoch der unausgesprochene Deal: Die Kinder dürfen über die Strenge schlagen und tolerieren dafür die velophile Extravaganz der Eltern.
Das wird in Berlin ein harter Kampf, den „nach-dem-Abendessen-eine-kleine-Süßigkeit-Standard“ wieder einzuführen.
Allein unterwegs auf dem Fahrrad, dass heißt für mich vor allem einsame Abende. Aber es gibt ja gewissen Trost aus der Heimat, den ich in einem kleinen Supermarkt 60 Kilometer nördlich von Qingdao finde:
Auf die „Pediküre zum Guten Bruder“ verzichte ich dann doch, weil hier eher der kleine Bruder gepflegt wird. Xiao Didi, so heißt in China im Slang der Penis.
Nägelschneiden kann hier sicherlich keine(r)!
Jimo heißt der Ort, gleich ausgesprochen, nur mit anderen Zeichen: Die Einsamkeit. Das passt!
Die Stadt ist eines dieser quadratischen Gebilde, das von achtspurigen Straßen durchzogen wird. Ein eigentliches Zentrum gibt es nicht, nur viele kleine Zentren ungebremster Stadtplanung, bei der dann gerne auch ein riesiges Einkaufszentrum in ein traditionelles einstöckiges Wohnviertel gesetzt wird. Das wiederum eigentlich eine Ansammlung von schmierigen kleinen Pensionen und ein paar Grillbuden ist.
Kurz vor Yantai gehen mir dann die Episoden von „House of Cards“ aus, die ich mir für eventuelle Alleinfahrten auf den Computer gezogen habe.
Zeit, dass wir wieder als Familie unterwegs sind. Zornica und die Kinder begrüßen mich vor unserem blauen Hoteltraum und wir haben einen geruhsamen Tag im Hafenviertel von Yantai. So haben wir uns das vorgestellt! Wäre dies ein Buch, hier würde der erste Teil enden. Erschöpft, aber hoffnungsvoll!
Morgen fahren wir mit der Fähre nach Dalian. Von dort sind es knapp 1.000 Kilometer nach Peking.
In Dalian beginnt der zweite Teil unserer Reise, unter deutlich besseren Vorzeichen.
Das Wetter ist stabil frühlingshaft und die Straßen in der Provinz Liaoning sollen super sein. Meine Dozentin Mareille hat mir immer vom chinesischen Nordosten vorgeschwärmt.
Ich freue mich darauf!
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