Als wir jüngst in Zhenjiang waren…

Zhenjiang liegt am Zusammenfluss von Yangzi und Kaiserkanal. Eine riesige Autobahnbrücke überspannt den Langen Fluss etwas westlich von Zhenjiang. Die Stadt ist heute ein wichtiger Umschlagplatz zwischen Süd- und Nordchina. Das merkt man Zhenjiang an. Die einst beschauliche Kleinstadt wuchert inzwischen bis an den Yangzi und darüber hinaus, wie ich gestern bereits erleben durfte.

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Früher war die Stadt allerdings viel mehr von militärstrategischer Bedeutung als von wirtschaftlicher. Zu Zeiten der Südlichen Song-Dynastie (1127-1279) wurde Zhenjiang zur Festung ausgebaut, als die nach Süden geflohenen Song ihr Territorium gegen die anrückenden Dschurdschen verteidigen mussten. Aus dieser Zeit stammt auch der Name der Stadt. Zhenjiang bedeutet „Den Fluss bewachen“. Die strategische Bedeutung Zhenjiangs erkannten auch die Briten, die während des ersten Opiumkrieges 1842 die Stadt besetzten und sie als Sprungbrett nach Nanjing nutzten.

Neben seiner militärischen Bedeutung war Zhenjiang über die Jahrhunderte hinweg auch immer ein wichtiges Zentrum des Buddhismus. Vor allem der Jin Shan ist einer der wichtigsten buddhistischen Tempel der Region.

Da von der einst stattlichen Stadtmauer durch die verheerenden Zerstörung während des Opiumkrieges und der Taiping-Rebellion nichts mehr übrig geblieben ist, und auch die Altstadt Baujahr 2000plus ist, machen wir uns nach dem üblichen Frühstück (Huntun-Suppe für Zornica und für mich, Nudeln mit Nichts für die Kinder) auf, den Jin Shan zu besichtigen.

Glücklicherweise (bzw. durchaus beabsichtigt) liegt unser Hotel genau gegenüber des Haupteinganges! Der Jin Shan (Goldener Berg) wurde erstmalig im 6. Jahrhundert urkundlich erwähnt. Seinen Namen bezog der Tempel aus einer Legende um den Mönch Fahai, der in der Tang-Dynastie einen Topf Gold am Fuße des Berges fand und diesen zur Erweiterung des Tempels nutzte. Auch in einer der bekannteste Liebesgeschichten Chinas, der „Geschichte der Weißen Schlange“, spielt der Mönch Fahai ein wichtige, wenn auch wenig ruhmreiche Rolle. Bai Suzhen, eine weiße Schlange in Gestalt einer hübschen Frau, verliebt sich in der Geschichte in Xu Xian, einen jungen Kräuterdoktor aus Hangzhou. Im blinden Kampf gegen das Übernatürliche und aus eigennützigen Motiven verbannt Fahai Bai Suzhen in das Fundament der Leifeng-Pagode in Hangzhou und zerstört somit das junge Glück.

Lu Xun, der berühmteste chinesische Schriftsteller des 20. Jahrhunderts und geistiger Vater der Vierten-Mai-Bewegung, nahm sich der Geschichte an und verurteilt in seinem Essay „Der Einsturz der Leifeng-Pagode“ die feudale Vergangenheit Chinas. Schön, dass die Pagode eingestürzt sei, schreibt er. Endlich könnten Xu Xian und Bai Suzhen zueinander finden!

Von Mao Zedong als Vorbild dargestellt, gehörte dieses Essay zur Schullektüre eines jeden Chinesen und führte dazu, dass in der Kulturrevolution am Jin Shan, dem Haustempel des Mönches Fahai, die Roten Garden kaum einen Stein auf dem anderen ließen.

Ich erzähle Sarah diese Geschichte und sie findet den Mönch Fahai „voll gemein!“. Dass der heute wieder so schöne Tempel aber deswegen zerstört wurde, sei auch „blöd!“. Da hätten die armen Mönche ja keinen Platz mehr zum Schlafen!

Nach intensiven Restaurierungsarbeiten der letzten Jahre, erstrahlt der Jin Shan heute wieder im vollem Glanz.

Vor allem die Haupthalle, in der drei vergoldete Figuren der Buddhas der Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft stehen, fasziniert unsere Kinder. Mehr noch die Luohans, Jünger Buddhas, an beiden Seiten der Halle, die zum Teil durchaus der gewohnten Comic-Ästhetik der Kinder entsprechen.

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Leider ist die Cishou-Pagode, die auf dem Gipfel des 44 Meter hohen Jin Shan steht, für Besucher geschlossen. Dabei hatte ich Sarah und Nora davon vorgeschwärmt, dass man von der siebenstöckigen Pagode über die Reisfelder und Lotusteiche bis hin zum Yangzi blicken könne, der immerhin der drittlängste Fluss der Welt ist. „Länger als die Spree?“, fragt Nora. „Viel länger!“, ruft Sarah und breitet ihre Arme aus. In Nanjing auf der Brücke hatte ich ihr schon vom Yangzi erzählt.

Eine gute Stunde später haben wir dann den Yangzi unter den Füßen. Nicht direkt, da ist schon noch ein Schiffsboden dazwischen. Wir klemmen uns zwischen Autos, Motorräder und Lastwagen und überqueren Chinas längsten Fluss mit der Fähre.

Vom Fähranleger sind es dann nur noch 20 Kilometer bis nach Yangzhou. Leichtes Radeln, kämen wir nicht in den Vorlesungsschluss von mindestens drei lokalen Universitäten. Vor allem Elektro- und Verfahrenstechnik wird hier gelehrt. Das macht anscheinend hungrig, da an jedem Universitätstor ein gutes Dutzend mobile Garküchen stehen und von Studenten belagert werden. Das alles leider auf dem Radweg. Da reichen drei Meter Breite auch nicht mehr aus, um das mobile Abendessen zu umkurfen!

Unser schönes Boutique-Hotel am Kaiserkanal erreichen wir so ein paar gefährliche Wackler und Beinahe-Zusammenstöße später auch erst gegen 18:00 Uhr. Ausnahmsweise hatte ich für Yangzhou das Hotel vorgebucht. Hat sich gelohnt!

Und auch das Essen war wieder einfach, aber ausgesprochen gut!

Danach hat es dann Lichter geregnet!

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