Zhou oder Zhou ist das Leben

„Wisst Ihr, was das für ein Gebäude ist?“

Der alte Mann mit dem Mao-Anzug schaut mich gleichzeitig erwartungsfroh und skeptisch an.

„Das ist die Ehrenhalle für unseren Premier Zhou Enlai!“, erklärt der Mann, ohne unsere Antwort abzuwarten.

Ich hatte ein Bild für die Galerie gemacht.

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Zhou Enlai, neben Mao Zedong während der 1950er und 1960er Jahre das Gesicht der Volksrepublik China, erster Ministerpräsident, Außenminister, sprachkundig, jovial. Der Mann, wie viele Kenner Chinas glauben zu wissen, der hinter der mächtigen Gestalt Maos die Fäden zog. Der die Annäherung an die USA und die Aufnahme in die UNO in den 1970er Jahren maßgeblich vorbereitete. Dem Truman den Händeschlag verweigerte, weil er im Wahlkampf nicht händelschüttelnd mit einem Kommunisten fotographiert werden wollte.

Der Mann, der in der Kulturrevolution Schlimmeres verhindert hat, sagen die einen. Das Weichei, dem das eigene Wohlergehen wichtiger war als der berechtigte Widerstand gegen Maos Politik, beklagen einige. Derjenige, der hinter all den Irrungen und Wirrungen steckte und Mao nur vorschob, behauptet sogar eine verschwindend kleine Minderheit.

In der chinesischen Bevölkerung war und ist Zhou Enlai auf jedenfall ohne Einschränkungen beliebt, das konnte außer ihm nur Sun Yat-sens Anfang der 1980er verstorbene Frau Song Qingling von sich behaupten.

In Huai’an steht nun also seine ehemalige Residenz und seine etwas überdimmensionierte Ehrenhalle. Und drumherum entsteht ein Musterviertel mit Prachtbauten und Straßenbahn, so wie ich die chinesischen Stadtplaner kenne, mit einer historischen Tram und in Bronze gegossene Szenen aus Zhous Leben an jeder Haltestelle.

„Er hat China geliebt!“, erzählt der alte Mann, der sich als Herr Zhou vorstellt. Zhou, wie der Premier.

„Bist Du verwandt?“, frage ich.

„So wie rund um Qufu viele Menschen Kong heißen und auch nichts mit Konfuzius zu tun haben!“, erklärt er.

Der Mann ist ein Intellektueller, und hat Humor!, denke ich mir.

„Was würde Zhou denn über das heutige China sagen?“, frage ich.

„Einerseits fände er es richtig, dass es den Leuten gut geht!“, antwortet er ohne zu zögern. „Andererseits fände er das ganze ein wenig zu ungerecht! Er hatte immer ein Herz für das einfache Volk!“

„Hätte er Deng Xiaopings Reformen unterstützt, wenn er nicht 1976 gestorben wäre?“

„Er hätte sie selbst auf den Weg gebracht!“

Das leuchtet mir ein und wir möchten uns verabschieden.

„Wartet! Ihr habt den weiten Weg aus Deutschland gemacht und wollt Euch dann das Ehrenmal nicht anschauen? Das geht nicht! Ihr MÜSST es Euch anschauen!“

Wir hatten diskutiert, ob wir den Morgen noch opfern für eine Besichtigung, hatten uns dann aber dagegen entschieden. Nun fühlen wir uns in der Pflicht.

„Ich werde Euch führen!“, bietet sich Herr Zhou an. Das klingt wiederum interessant und wir sind versucht, die Abfahrt zu verschieben.

„Ist heute geschlossen, Montag!“, mischt sich eine alte Frau ein, die chinesische Flaggen verkauft. „Aber eine chinesische Fahne könnt ihr bei mir kaufen ergänzt sie.

„Nachdem die Lilifee-Fahne irgendwo zwischen Yixing und Nanjing geklaut wurde und das in Zhenjiang gekaufte Windrad dem Namen entsprechend weggeflogen ist, kommt die große rote Fahne mit den fünf gelben Sternen genau recht und hat die richtige Größe und Farbe. Klauen wird sie auch keiner. Entweder aus Respekt oder aus Überdruss.

„Wieviel?“, fragt Zornica.

„20 RMB!“

„5!“

„15!“

„10!“

„Genossin, die Fahne zahle ich!“, mischt sich Herr Zhou ein und reicht ihr einen FÜnf-RMB-Schein. „Nü Tongzhi“, habe ich als Anrede auch schon seit 20 Jahren nicht mehr gehört.

Wir haben also als Kompliment von Herrn Zhou eine neue Fahne und strecken sie seitdem in den Wind!

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Einen Kilometer stadtauswärts ist dann die Modellstadt schon fertig und wir haben eine ausgedehnte Fotosession vor dem neuen Stadttor:

Die Ausfallstraße ist gesäumt von Obstständen, bzw. mit Autos, deren Ladefläche als fahrender Obststand dient. Unsere Melonenjunkies auf den hinteren Plätzen schreien „Papa, Mama, Melonen!“ und schon ist Zornica vom Rücksitz gehüpft und kauft den Vorrat für den Tag ein:

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Etwas später überqueren wir dann wieder einmal den Kaiserkanal, der hier ziemlich breit und befahren ist:

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Dann wird es ländlich-sittlich, kaum Verkehr und gute Straßen. Sogar der Wind kommt zuweilen von hinten!

Siyang, unser Etappenziel, begrüßt uns mit den üblichen Prachtbauten. An der Hotelfront hat die Kreisstadt aber nur Bruchbuden oder dies hier zu bieten:

Da das Ganze für umgerechnet 30 Euro pro Zimmer recht günstig und uns nach etwas Luxus ist, sind wir dann hier abgestiegen und Zornica hat sich erst einmal zur Entspannung ein Bad eingelassen. Dass das Hotel nicht nur Übernachtungen anbietet, sondern auch die etwas andere Entspannung, sieht man am letzten Bild, dass für die All-Inklusive-Sauna im Keller wirbt.

Auch ohne Sauna gut entspannt begeben wir uns dann auf die nächste Etappe. Unsere bisher schönste, die uns auf asphaltierten Wirtschaftswegen entlang von Kanälen führt. Was für ein Panorama! Entsprechend fällt auch die Galerie aus:

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Daran kann man sich gewöhnen, sollten wir uns aber nicht. Denn am Ende der Etappe wartet wieder eine Großstadt auf uns. Urban nennt man das wohl. Immerhin: Auch hier gibt es eine Umweltzone:

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Und die Kinder sind von der schieren Größe immer wieder fasziniert!

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Wie schon gestern gestaltet sich die Hotelsuche auch heute wieder ein wenig komplizierter. Was wir brauchen ist ein sauberes Hotel mit entweder einem Familienzimmer oder zwei günstigen Doppelzimmern nebeneinander, das entweder einen sicheren Hof für die Familienkutsche bietet oder uns dieselbe in die Lobby stellen lässt. Auf den ersten fünf Kilometern stadteinwärts: Fehlanzeige! Zwei in der Karte eingezeichnetet Hotels sind noch im Bau, der Rest ist entweder schmudelig oder potentiell zu teuer.

Kaum in der Stadtmitte, sehe ich auf der rechten Seite ein Schild „Verona Boutique Hotel“ und steuere unsere Familienkutsche quer über ein vierspurige Straße zielsicher in eine Sackgasse.

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Die Hotel-Chefin rennt uns gleich freudig entgegen, ihr Mann macht mir ein Bier auf und die Kinder des Hause führen vor unseren ihr Spielzeug spazieren.

Das Hotel rangiert irgendwo zwischen „Der Mann mit dem Goldenen Colt“ und einem Edelpuff. Denn Kindern gefällt es und die Betten sind rund und bequem!

Und die Familienkutsche schläft heute wieder in der Lobby!

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