Der Zahn der Zeit steht still

Auf Qingdao hatten Zornica und ich uns am meisten gefreut. Im Mai 1994, kurz vor Ende unserer gemeinsamen Studienzeit in China, waren wir für das verlängerte Feiertagswochenende nach Qingdao gefahren, unser erster gemeinsamer Kurzurlaub!

Irgendwo in der Nähe des Bahnhofs quartierten wir uns ein, in einem uns, nach fast einem Jahr in einem chinesischen Studentenwohnheim unheimlich luxuriös vorkommenden Hotelhochaus. Endlich hatten wir einmal ein Zimmer für uns, und warmes Wasser! Wärmer als in Peking war es in Qingdao auch. Und Bier gab es hier vom Fass, nicht aus der Flasche, was damals konkret hieß: Da war Kohlensäure drin, was sonst nur in jeder zweiten Flasche der Fall war!

Photographisch hatten wir damals die Schwarzweiß-Phase:

Drei Tage haben wir diesmal in Qingdao verbracht und wissen immer noch nicht, was wir von der Stadt anno 2015 halten sollen. Wären da nicht unsere Kinder, der Unterschied wäre höchst marginal . Ist es eine gute Sache, wenn sich eine Stadt in 20 Jahren kaum verändert? In einem Land, wo man abends oft nicht weiß, ob das Haus am nächsten Morgen noch steht? Selbst die Skyline hat sich, zumindest an der Strandpromenade, kaum verändert. Und die Strandpromenade ist immer noch die gleiche. Der Zahn der Zeit, der beißt hier nur kleine Häppchen ab!

Während in ganz China neue Altstädte entstehen und eine Verkitschung des historischen Erbes Programm ist, scheint selbst Qingdaos koloniales Erbe sicher vor einer Disneyfizierung geschützt. Wir erkennen die Straßen wieder, die wir vor 20 Jahren entlang gelaufen sind und selbst die Menschen und die kleinen Länden scheinen die gleichen zu sein. „Sieht aus wie in Deutschland!“, schreien unsere Kinder. „Nur viel schöner!“

Nur der Platz rund um die katholische Kirche hat ein bescheidenes Facelifting bekommen und ist nun bevorzugte Photokulisse für Hochzeitspaare. Sarah kann sich vor Freude kaum halten!

„Guck mal das Kleid dort! Und das da! Rot, Rosa, Rüschen!“

War die Kirche vor 20 Jahren nur zu Gottesdiensten geöffnet, können wir sie heute tatsächlich besuchen. Dabei stelle ich fest, dass die Kirche nicht nur äußerlich der katholischen Josefskirche meiner Heimatsstadt Weiden gleicht, sondern auch im Inneren durchaus Ähnlichkeiten aufweist. Nur dass hier tatsächlich eine Josefsfigur existiert, während in Weiden der Namesgeber der Kirche durch Abwesenheit glänzt. Wobei wir hier auch bei einem der Streitpunkte zwischen der chinesischen Christengemeinde und Rom sind: Für die chinesischen Katholiken ist Josef durchaus mehr als nur ein Mensch, da sei Konfuzius vor!

So richtig warm werden wir mit Qingdao diesmal nicht. Was einerseits daran liegt, dass wir zu große Erwartungen an die Stadt hatten. Und gefühlsmäßig sind wir am Tiefpunkt unserer Reise angekommen. Meine Zähne schmerzen immer noch und die Nebenhöhlenentzündung ist kaum besser geworden. Zornica kämpft weiterhin mit einer hartneckigen Erkältung. Nur unsere Kinder, die sind fit und wollen wieder Fahrrad fahren.

Leider müssen wir sie noch ein wenig vertrösten. An Radfahren ist bei Zornicas Gesundheitszustand nicht zu denken, jedenfalls nicht, wenn wir die Reise zu Ende bringen wollen. Ein paar Tage Schonung braucht sie auf jeden Fall noch. Diesmal fällt uns die Entscheidung leicht: Zornica und die Kinder fahren mit dem Zug nach Yantai und ich radle die Familienkutsche in drei Tagen hinterher.

Nachdem die Entscheidung gefallen ist, fällt der Druck von uns ab. Dogmatisch waren wir sowieso nicht, was das Radfahren und den Reiseablauf angeht. Trotzdem fiel es uns schwer, einzugestehen, dass wir uns mit der Reise wohl ein wenig zu viel vorgenommen haben. Wir haben den Punkt erreicht, an dem wir das Projekt in Frage stellen. Und wissen, dass die Lösung, noch ein paar Tage getrennt zu reisen, um Kräfte zu sparen, die einzig richtige ist.

In der berühmten Qingdaoer Bierstraße feiern wir den Abschied auf Zeit und stoßen auf den zweiten Teil der Reise an.

Dazu gibt es Meeresfrüchte und andere Leckereien!

Auf dem Weg nach Hause nehmen wir noch eine alte Tradition mit, die sich glücklicherweise erhalten hat.
Das Fassbier in Qingdao wird immer noch in der Tüte ausgeschenkt!

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3 Comments:

  1. Habe gerade eure letzten 10 Einträge gelesen und bin beeindruckt, was ihr mittlerweile alles durchgestanden habt! Ich hoffe Zornica ist wieder auf dem Damm und wünsche dir gute Besserung für deine Zähne. Gibt doch sicher ein chinesisches Heilmittel – auf getrockneter Schlange rumkauen oder sowas…?
    Haltet weiter durch und ich freue mich auf den weiteren Verlauf eures Abenteuer!
    Liebe Grüße aus einem kühlen Berlin!

    • Volker Häring

      Liebe Suse,

      danke für Deinen Kommentar und die guten Wünsche! Zornica geht es wieder gut, nur meine Zähne machen uns weiterhin Sorgen, immerhin wird es nicht schlimmer!

      Noch vier Tage, dann sind wir in Peking!

      Liebe Grüße von der chinesischen Ostküste,
      Volker+Familie

      P.S. Herzlichen Dank auch für Deine großzügige Unterstützung!

  2. Hallo ihr Lieben,
    wir finden Eure Fotos und die Berichte, die wir gelesen haben, ganz toll, es sieht so aus als hättet ihr eine schöne Zeit. Wir freuen uns aber auch schon auf Eure Rückkehr.
    Bis dahin alles Gute und gute Fahrt :)!

    Mark und Nadja

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