Land von Fisch, Reis und Pannen

Der gestrige Abend begann mit einem Schock! Als ob es nicht schon genug wäre, nach einer 85-Kilometer-Etappe im Dunkeln mit einem 240-Kilogramm-Boliden durch den Feierabendverkehr einer Touristenattraktion zu navigieren, gesellte sich kurz vor Ankunft noch ein kurzes, scharfes Knacken hinzu.

Erst denke ich mir nichts Schlimmes, vielleicht sind wir über eine Cola-Dose gefahren oder nebenan hat jemand mit einem Messer auf Stahl gehauen. Im Hotel angekommen konnte ich das Knacken dann leider sicher verorten: Der angeblich so stabile Tubus-Gepäckträger war an zwei Stellen gebrochen. Eines der wenigen Fahrradteile, die wir sicherlich nicht in China finden und die wir aufgrund ihrer Größe auch nicht als Ersatzteil dabei haben.

Essentiell ist der Tubus deshalb, weil er die Möglichkeit bietet, die Packtaschen etwas niedriger zu hängen. Mit unserer tiefliegenden Anhängerdeichsel ist das ein Muss. Konkret heißt das: Die Weiterreise ist zumindest für ein paar Tage gewährdet. Schweißen wäre ein Möglichkeit, aber keine wirklich gute Aussicht. Mit einem angeknacksten Gepäckträger auf 2.500 Kilometer gehen, dass ist selbst bei unseren leichten Taschen (1x11kg und einmal 12 kg) keine gute Idee. Also doch schweißen? Einen oder zwei Tage dadurch verlieren?

Ich schaue mir den Schaden noch einmal genau an. Da der Gepäckträger innen hohl ist, lässt er sich sicher auch mit einem Bambusstift oder Ähnlichem stabilisieren, denke ich mir. Als ich gerade ein benutztes Einmalweg-Bambusstäbchen, das in etwa die richtige Dicke hat, vom Boden aufhebe, spricht mich Manager Zhang, der Chef unseres Hotels an und fragt, ob ich Hilfe brauche. Er sieht sich den Schaden an und kommt mit einem Holzstift, einer Axt und einem Draht zurück. Innerhalb von 15 Minuten haben wir den Stift zugeschnitten, die eine Bruchstelle so geschlossen und die andere mit dem Draht stabilisiert. Schließlich füge ich noch ein paar lange Kabelbinder hinzu: Das sollte halten! Schweißen können wir immer noch lassen!

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Während der Reparatur kommen Manager Zhang und ich ins Gespräch. Xitang sei nicht mehr die Stadt, die er kenne, erzählt er. Früher hätten hier nur die Einwohner der Stadt Hotels und Restaurants aufgemacht, nun kämen vor allem Leute aus Sichuan und Guanxi und würden die alteingesessenen Etablissements mit Kampfpreisen vortreiben! Die lokalen Leute schauten bei dem Touristenboom zunehmend in die Röhre! Außerdem hätten immer mehr Bars und Massagesalons aufgemacht, das sei auch nichts und hätte mit dem traditionellen Xitang nicht mehr viel zu tun! Ich kenne die Klage auch aus anderen Touristendestination in China, sei es aus Dali, Lijiang, Yangshuo oder Pingyao. Sobald der Boom einsetzt, bleibt für die loakle Bevölkerung meist nichts anderes übrig, als das Weite zu suchen. Das Geschäft machen andere und damit die einst so pittoresken Orte auf die Dauer kaputt.

Zum Vergleich die beiden Gesichter von Xitang:
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Ein Blick heute auf den Gepäckträger: Scheint zu halten, auch nachdem wir die Taschen angehängt haben. Der Regen hat auch aufgehört, die Route ist geplottet. Gegen 11:00 Uhr sind wir auf der Straße, versuchen die ersten Kilometer etwas Stecke zu machen, um abends nicht in Zeitnot zu gelangen. Das Yangzi-Delta, auch „Land von Fisch und Reis“ genannt, ist ein seltsame Gegend. Teilweise fahren wir Kilometer lang auf perfekt ausgebauten Schnellstraßen mit breitem, abgetrennten Fahrradweg, auf dem unsere Familienkutsche fast längst Platz hätte durch bis in die kleinste Parzelle genutztes Ackerland, dann wieder auf kleinen, schlaglochübersäten Straßen durch Industriegebiete, in denen vor allem gesponnen wird. Also Seide, Baumwolle, Synthetik. Es rattert, es stinkt nach Farbe. Dann wird es plötzlich ländlich und wir können den Bauern bei der Lotuswurzelernte zuschauen:

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„Schmeckt wie Apfel und wird in manchen Restaurants in Zuckersyrup serviert“, erzählt ich Sarah und versuche sie so zum Kosten zu animieren. Sie überlegt sich das…

Etwa 30 Kilometer vor Nanxun müssen wir leider die Nebenstraße verlassen und auf die Staatsstraße abbiegen, das Äquivalent unserer Bundesstraße. Auch hier gibt es einen abgetrennten Radweg, die visuellen Reize halten sich aber in Grenzen, die LKWs brummen an uns vorbei und unsere beiden Mädchen meutern.

„Wann sind wir endlich da! Wann sind wir endlich da! Wann sind wir endlich da! Wann sind wir endlich da! Guck mal, eine Bäckerei!!!“

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Dort sind wir dann hängengeblieben, erst eine halbe Stunde, dann eine Stunde, und als wir endlich loswollten, fing es zum Schütten an. Bei so was bin ich eigentlich Berufsoptimist, dieser Regen sieht aber so gar nicht wie ein Schauer aus!

Nach einer halben Stunde entscheiden wir, dass Zornica und die Kinder mit einem Taxi nach Nanxun fahren und ich die Familienkutsche, sobald der Regen aufhört, hinterherfahre. Ein Taxifahrer ist schnell gefunden, der die Familie für 80 RMB nach Nanxun fährt. Zehn Minuten später stehe ich allein neben unserem Tandem und starre in den Regen. Gönne mir dann noch einen Kaffee. Starre wieder in den Regen, der langsam weniger wird.

Dann tröpfelt es nur noch und ich sattle auf. Radle die ersten fünf Kilometer bei herrlich frischer Luft. Genieße die plötzliche Leichtigkeit, da immerhin fast die Hälfte des Familienkutschen-Gewichts fehlt.

Dann öffnet der Himmel seine Schleußen.

Eine halbe Stunde später bin ich immer noch 10 Kilometer von Nanxun entfernt und es stehen tiefe Pfützen auf der Straße. Meine Regenhose ist mit dem Gepäck nach Nanxun gegangen. Immerhin, die Regenjacke hält! Nur wird es langsam ungemütlich kalt.

Eine weitere halbe Stunde später bin ich in Nanxun. Trage die Familienkutsche zweimal über traditionelle chinesische Steinbrücken, weil das Hotel dann doch nicht da ist, wo die Karte und das Navi es vermuten.

Dann bin ich da, Zornica und Herr Shi, der Hotelbesitzer begrüßen mich überschwenglich, es gibt ein Bier zur Begrüßung und dann ist die Familie wieder vereint. Wir haben die Familien-Suite: Zwei winzige Zimmer mit jeweils einem breiten Bett und einem gemeinsamen Bad. Mit heißem Wasser! Und noch wichtiger: Die Klimaanlage bläst angenehm warmen Wind ins Zimmer!

„Papa, Du bist ja ganz nass!“, ruft Nora. Gut beobachtet!

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