Mein Schulweg war ein leichter. Rauf aufs Rad, ein paarmal leicht getreten, dann rasant zwei Kilometer rollen lassen, schon war ich da. Nur die Bundesstraße, die ich kurz vor der Ankunft kreuzen musste, trübte die Radfahrt, hielt aber den zusätzlichen Nervenkitzel bereit. Die Geschwindigkeit der Autos richtig einzuschätzen und zwischen zwei Blechkisten über die B22, die Verbindung meiner kleinen Heimatstadt mit der weiten Welt, zu huschen, das hatte was! Nach Schulschluss wartete dann zwar ein steiler Berg. Den nahm ich aber mit dem Schwung des erwarteten freien Nachmittags und in Anlehnung an Didi Thurau, der damals bei der Tour de France über eine Woche in Gelb fuhr.
Seitdem war das Rad das Verkehrsmittel meiner Wahl. Autos stanken und waren laut. Machten Dreck und Jagd auf Radfahrer. Kurz vor dem Abitur erregte dann zwar für kurze Zeit ein himmelblauer Ford Taunus meine Aufmerksamkeit und verdrängte das Fahrrad für ein gutes Jahr aus meinem Leben. Der Taunus endete im Frontalzusammenstoß mit einem Mercedes Strich Dreier. Das war es dann mit mir und den Autos.
Schon bald war für mich außerdem klar, dass die möglichst schnelle Kilometerfresserei nichts für mich war, trotz Schwärmerei für die Tour de France und frühpupertären fiktiven Radrennen gegen imaginäre Gegner. Auf der Tartanbahn war ich immer Langstreckler, nie Sprinter. Beim Fußballspielen, auf dem Bolzplatz und im Verein, war ich lieber Libero als Stürmer. Oder der klassische „Sechser“, wie man heute sagen würde. Auf dem Fahrrad setzte sich das fort. Ich wollte keine Geschwindigkeitsrekorde brechen, ich genoss simpel die Freiheit, mein Zweirad aus dem elterlichen Haus zu schieben, aufzusteigen und die Welt zu entdecken. Die Welt, das war damals meine Lieblingsstrecke, den Hausberg weitere 200 Höhenmeter nach oben, auf der Höhenstraße acht Kilometer bis zur Kirche St. Felix, einmal durch die Nachbarstadt Neustadt a.d. Waldnaab. Dann in steiler Fahrt den Parkstein, einen spektakulären Basaltkegel mit einer unerbittlichen Schlusssteigung nach oben. Aussicht genießen, in Schussfahrt nach unten ins Tal, die 70-Kilometer-die-Stunde-Marke kratzend. Dann der legendäre Schlussanstieg nach oben, die letzten Meter eben bis nach Hause rollen, ausgepumpt und glücklich!
Meine Frau Zornica kommt aus Bulgarien. Aus den Bergen. Ein Fahrrad machte da keinen Sinn. Fahrradfahren hat sie nie gelernt. Wäre doch gelacht, wenn ich die Frau, die ich liebe, nicht anfixen könnte und sie auf ihre gar nicht so alten Tage auf das Fahrrad bringen könnte! Weihnachten 2003 schenkte ich ihr ein Fahrrad, mit Komfortlenker, Komfortschaltung und idiotensichererer Bedienung. Seit Sommer 2004 steht es bei uns im Keller. Zwei Ausflüge in den Grunewald, inmitten von Kampfradlern und den typischen Berliner Autofahrern, die alles jagen, was zu schnell, zu langsam oder einfach nur da war, reichten ihr.
Irgendetwas in mir weigerte sich, aufzugeben, meine Frau doch noch auf den Drahtesel zu bringen. Weniger aus Prinzip oder (wie sie vielleicht sagen würde) Sadismus. Ich wollte das Erlebnis Fahrrad mit ihr teilen. Wenn es mir schlecht geht, setze ich mich auf’s Rad. Bin dann wieder der kleine Junge, der für einen Moment der Enge und den Zwängen des Elternhauses entflieht. Hätte ich keine Familie, säße ich wohl augenblicklich auf dem Rad, in Endlosschliefe durch die Welt fahrend. Aber so sehr ich es genieße, alleine auf Tour zu gehen, hatte ich doch gewisse romantische Vorstellungen von einer Radtour zu zweit. Und möchte natürlich meinen beiden Kindern das Fahrrad als Reisegefährt näherbringen! Mit meiner Firma, China By Bike, begeistere ich jährlich ein paar hundert Reisende vom Radfahren in China. Wäre doch gelacht, wenn ich das nicht auch mit meiner Familie schaffen würde!
Die Kinder finden Radfahren klasse. Zornica im Prinzip auch. Beruflich hatte ich seit 2007 geschäftlich viel mit dem Radhersteller Koga zu tun. Wir fuhren mit 16 Teilnehmern von Athen nach Peking. Das Rad dazu lieferte Koga. Anke Namendorf, die die Zusammenarbeit auf Seiten Kogas koordinierte, erzählte mir vom Koga Twin Traveller, einem Klapptandem. Da war für mich die Entscheidung getroffen: Mit diesem Rad werden wir durch Asien fahren!
Ursprünglich, bevor unsere beiden Kinder Sarah und Nora geboren wurden, hatten Zornica und ich die Idee, mit dem Tandem von Berlin nach Beijing zu radeln. Anvisiert hatten wir das Frühjahr 2009 oder 2010. Das Tandem stand dann schon bald bei uns vor der Tür und erregte Fernweh. Zornica schien tatsächlich angefixt. Bis wir das erste Mal eine kleine Steigung vor uns hatten und es mit dem simplen Mitführen der Pedalen nicht mehr getan war. Und ich in der Ebene feststellte, dass ich alleine auf dem Tandem schneller vorwärts kam als mit meiner Ehefrau hinter mir im Sattel. Auf unser ersten Radtour habe ich ein paar Kilo abgenommen, obwohl es nur in das Berliner Umland ging und keine Tagesetappe länger als 50 Kilometer lang war. Jeden Tag auf dem Weg in die Arbeit, wir beide vereint im Sattel, durch die wunderbaren Alleen des Berliner Tiergartens, wird mir klar, dass es einen Unterschied macht, ob man seit dem vierten Lebensjahr auf dem Fahrrad sitzt und jede Muskelfaser weiß, was von ihr erwartet wird. Oder eben, wie Zornica, jeden Muskeln zum ersten Mal kennenlernt, meistens schmerzhaft.