Der Lange Weg nach Peking

Wind-und wettergebeutelt stehen wir mal wieder vor der Entscheidung, wie wir die gut 300 Kilometer bis Peking angehen sollen. Über Tangshan wäre eine Option, das wäre an vier Radtagen zu schaffen. Die Region ist aber sehr industriell geprägt und von Fabriken und Kraftwerken haben wir eigentlich genug.
Bleibt die Variante über Zunhua, die wir sowieso ins Auge gefasst hatten. Die Strecke verspricht weniger Verkehr, abwechslungsreichere Landschaft und – nicht unwichtig – eine kürzere Schlussetappe nach Peking.

Die größten Sorgen macht uns aber weiterhin der Wind, der zwar morgens immer flau vor sich hin bläst, gegen Mittag aber dann wieder zur Orkanstärke findet. Die Windrichtung ist weiterhin Südwest, also unsere. Keine guten Aussichten!

Hoffentlich ein letztes Mal auf dieser Reise beschließen wir, dass ich die Familienkutsche zwei Etappen alleine bewege. Die beiden Schlussetappen, von Zunhua über Sanhe nach Peking, wollen wir auf jeden Fall zusammen radeln, da sind wir uns einig!

Kurz vor 10 rolle ich dann aus dem Hotelhof und versuche, der Küstenlinie folgend, möglichst viel Strecke zu machen, bis der Wind seine volle Stärke erreicht.

Das gelingt mir auch recht gut. Ablenkung gibt es wenig, da die Strecke einmal quer durch Qinhuangdao führt, einer der größte Moloche in China und wichtige Stahl- und Hafenstadt. Nicht schön, aber interessant, bin ich versucht zu schreiben. Trifft es aber nicht wirklich: Interessant ist der Ort auch nicht!
Noch bis zwanzig Kilometer hinter Qinhuangdao wirft der Moloch seinen Schatten bzw. seinen Dreck. Für chinesische Verhältnisse, in einem Land, wo normalerweise Heerscharen von Straßenfegern die Ausfallstraßen vom Staub befreien, liegt hier unglaublich viel Dreck auf der Straße, der mir im aufkommenden Gegenwind ins Gesicht bläst.

Da hilft auch die Besenmaschine nicht viel.

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Genaugenommen wird der Dreck ja auch eher verteilt als beseitig.

Immerhin wird die Landschaft mit zunehmender Fahrt recht schön. Die Berge im Norden der Provinz Hebei strecken ihre Ausläufer in die Pekinger Ebene. Das heißt für mich ein paar Höhenmeter, die ich aber gerne fahre. Ich weiß ja: Gleich geht es wieder bergab, tendenziell jedenfalls in Richtung Peking.
Auf einer Hügelkuppe freue ich mich so sehr über die bevorstehende Schussfahrt, das ich noch einmal mit Schmackes in die Pedalen trete. Und danach sofort ins Leere.

Für einen Moment fühlt es sich an, als ob die vordere Kette gerissen wäre. Schicksalsergeben stelle ich die Familienkutsche ab und schaue mir den Schaden an.
Entwarnung: Die Kette ist nur vom Kettenblatt gesprungen. Fünf Minuten und furchtbar dreckige Hände später schnurrt die Kette wieder. Insoweit eine Kette mit fast 3.000 Kilometern Laufleistung noch schnurren kann…

Am nächsten Morgen begrüßt mich ein Wolkenbruch. Auch gegen 11:00 Uhr regnet es in Strömen. Da ich sowieso wenig Lust hatte, die 110 Kilometer bis Zunhua zu radeln, fällt mir die Entscheidung leicht, mir ein Auto für den Transport zu suchen.

Während ich zur Familienkutsche sprinte, die im Hinterhof meines Hotels steht, sprechen mich schon die Pförtner an.

„Willst Du wirklich Radfahren? Bei dem Regen?“, fragt mich der ältere Herr im Mao-Anzug.

„So ein Fahrrad ist bei Regen echt unpraktisch!“, pflichtet sein Kollege im Trainingsanzug.

„Was ist das denn für ein Gefährt!“, prustet eine der Massagedamen aus der Sauna im Hinterhof los, als sie die Familienkutsche sieht.

„Kennt Ihr einen Fahrer, der mich nach Zunhua bringen kann?“, frage ich in die Runde.

„Klar doch!“, kommt die Antwort unisono und 15 Minuten später steht ein Minivan auf dem Hof, in den die Familienkutsche im zusammengeklappten Zustand gerade einmal so passt. Der Preis von 300 RMB ist auch OK, und so brausen wir in Richtung Zunhua. Eine halbe Stunde später hört der Regen auf, eine weitere Stunde danach klart es auf. Aufziehender Nebel taucht die sanfte Hügellandschaft in ein mystisches Licht. Kaum ein Auto ist auf der Straße.

„Scheiße!“, denke ich für einen Moment.

Stelle dann aber die Rückenlehne ein Stück nach hinten, öffne das Fenster einen Spalt und schließe die Augen.

Ist auch so schön. Und endlich einmal entspannt!

Am späten Mittag lädt mich der Fahrer vor einem Sichuan-Restaurant in Zunhua ab. Die Kellner lassen alles stehen und liegen und rennen auf die Familienkutsche zu. Dann kommen die Köche, Und schließlich die Chefin.

„Sowas brauchen wir auch, dann radeln wir durch China!“, ruft sie ihrem Mann zu, der hinter dem Tresen sitzt und die Tageseinnahmen zählt.

„You Yisi“, brummt der. Wörtlich: „Interessant“. Tatsächliche Bedeutung: „Lass mich in Ruhe!“

Am Abend kommen dann Zornica und die Kinder von ihrem Tagesausflug zu den Gräbern der Qing-Kaiser zurück.
Wir liegen uns in den Armen und wissen: Bis Peking radeln wir zusammen!

28.05.2015 Shanhaiguan – Lulong

29.05.2015 Lulong – Zunhua

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